Marta Pagans

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23 Film- und Buchtipps für Übersetzende und Dolmetschende

© Marta Pagans

Was für eine angenehme Überraschung, wenn in einem Roman oder in einem Film plötzlich Übersetzer:innen oder Dolmetscher:innen auftauchen. Einige lesebegeisterte Kolleginnen und ich haben eine beachtliche Auswahl für dich erstellt.

(Dieser Blogartikel ist am 5. Juni 2023 erschienen und wird laufend ergänzt.)

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1# ATME!, Judith Merchant

Vorgestellt von Katja Althoff

© Marta Pagans

Im Corona-Jahr hatte ich noch mehr Zeit zum Lesen als sonst und Lust auf einen unblutigen Krimi. An einem Wochenende habe ich es mir also mit Tee und „ATME!“ von der deutschen Autorin Judith Merchant gemütlich gemacht – und stieg direkt in die Geschichte ein:

Nile, die Hauptfigur des Romans, geht mit ihrem Feund Ben in ein Modegeschäft. Als Nile aus der Umkleidekabine kommt, ist Ben verschwunden – und bleibt es auch. Danach beginnt Niles atemlose Suche nach Ben. Denn niemand glaubt ihr. Spannend. Eine unerwartete Wendung nach der anderen.

Die für mich überraschendste Textstelle – und mein persönliches Highlight: Nile erzählt lang und breit, dass sie Übersetzerin ist – und ihren Beruf so richtig öde und schnarchlangweilig findet. Ich habe mich köstlich amüsiert, trotz dieser Klischees:

Nile ist Übersetzerin für Spanisch von Gebrauchsanweisungen, Geschäftsberichten und Speisekarten. Sie erklärt dem Leser den Unterschied zwischen Übersetzen und Dolmetschen. Und den von Direktkunden und Agenturen. Ihr Beruf wird übrigens nur an dieser einen Stelle thematisiert, für die Handlung ist er nicht wichtig. Das Buch ist deshalb – oder trotzdem – eine Empfehlung!

Judith Merchant, ATME!, Kiepenheuer & Witsch, Köln, 2019.

Katja Althoff

Transkreative Übersetzerin und SEO Content Writer für IT-Themen aus Dortmund

Website: www.althoff-translations.de

LinkedIn: https://www.linkedin.com/in/katjaalthoff

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2# Deutsches Haus, Annette Hess

Vorgestellt von marta Pagans

© Marta Pagans

Inzwischen ein Klassiker, der in zahlreiche Sprachen übersetzt wurde. Von Kolleginnen und Kollegen habe ich nur noch Gutes darüber gehört. Tja, Asche auf mein Haupt, ich selbst bin noch nicht dazu gekommen. Deswegen greife ich jetzt zu der Beschreibung vom Ullstein Verlag zu:

„Frankfurt 1963. Eva, gelernte Dolmetscherin und jüngste Tochter der Wirtsleute Bruhns, steht kurz vor ihrer Verlobung. Unvorhergesehen wird sie gebeten, bei einem Prozess die Zeugenaussagen zu übersetzen. Ihre Eltern sind, wie ihr zukünftiger Verlobter, dagegen: Es ist der erste Auschwitz-Prozess, der in der Stadt gerade vorbereitet wird. Eva, die noch nie etwas von diesem Ort gehört hat, folgt ihrem Gefühl und widersetzt sich ihrer Familie. Sie nimmt die Herausforderung an, ohne zu ahnen, dass dieser Jahrhundertprozess nicht nur das Land, sondern auch ihr eigenes Leben unwiderruflich verändern wird.“

Vielversprechend? Ich finde schon. Ein Pluspunkt für mich: Geschrieben wurde dieser Roman von Annette Hess, auch Autorin der TV-Serien „Weissensee“ und „Ku'damm 56/59“. Die erste hat mich von Anfang an gefesselt. Die zweite (wie so viele anderen Serien auch) steht schon Langem auf meiner Liste …

Deutsches Haus, Annette Hess, Ullstein, Berlin, 2018.

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3# Gesang der Fledermäuse, Olga Tokarczuk

Vorgestellt von Luisa Callejón

Bild von Aleksandra Kwasnik © Luisa Callejón

„Ein Kriminalroman, der skurrilen Witz mit Zivilisationskritik verbindet“ soll nach dem Klappentext der Roman Gesang der Fledermäuse der polnischen Autorin und Nobelpreisträgerin Olga Tokarczuk sein. Da ich kein Polnisch kann, habe ich ihn in der Übersetzung von Doreen Daume gelesen.

Auch wenn der erste Tote schon auf der zweiten Seite erscheint und weitere Leichen unter seltsamen Umständen in der winterlichen Abgeschiedenheit der niederschlessischen Bergen aufgefunden werden, würde ich den Roman nicht dem Genre der Kriminalliteratur zuordnen. Vielleicht kenne ich mich nicht genug mit diesem Genre aus. Jedenfalls hat dieses fantastische Buch nichts mit klassischem Spannungaufbauschema eines Allwetter-Krimis zu tun.

Die Hauptfigur und Ich-Erzählerin, Janina Duszejko, stellt sich gleich im ersten Satz des Romans als alt und gebrechlich vor: „Mein Alter und mein Zustand erfordern es mittlerweile, dass ich mir vor dem Zubettgehen ordentlich die Füße wasche, für den Fall, dass ich in der Nacht von einem Krankenwagen abgeholt werden muss“*. Auch ihre Neigung, das Geschehene und das Kommende mithilfe der Astrologie zu deuten, kommt schnell zur Sprache. Ebenso ihre Naturbeobachtungen, die Spuren der Tiere im Schnee, die Richtung und Stärke der Winde.

Früher Dorflehrerin für Englisch, schaut sie heute nach dem Rechten in den Sommerhäusern der wohlhabenden Städter und bearbeitet immer wieder ihre Übersetzungen der Lyrik von William Blake, zusammen mit einem ehemaligen Schüler. Nicht nur diese selbst- und nutzlose Tätigkeit lässt mich eine Wahlverwandschaft mit der Antiheldin empfinden. Auch die Freiheit des Geistes, die sie auslebt, ihre als Naturschutz getarnte Gesellschaftskritik, ihre eigenen Ermittlungen mit den langen Briefen an die Polizei, die einem schmunzeln lassen, machen diese Romanfigur so liebenswert.

Das war mein erster Tokarczuk. Es wird sicher nicht der letzte sein.



* Olga Tokarczuk, Gesang der Fledermäuse, Kampa Verlag AG, Zürich 2019, S. 7.

Aus dem Polnischen von Doreen Daume übersetzt



Dr. Luisa Callejón

Sprachexpertin für die Spanische Sprache - Übersetzerin und Dolmetscherin aus Berlin und Almería

Website: http://callejon-sprachdienste.de

LinkedIn: https://www.linkedin.com/in/luisa-callejón

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4# Mein Herz so weiß, Javier Marías

Vorgestellt von marta Pagans

© Marta Pagans

Zu meinen Unizeiten war dieser Roman zwischen den Studierenden eine Pflichtlektüre. An den Inhalt kann ich mich nur dunkel daran erinnern. Deswegen greife ich jetzt lieber auf Wikipedia zu:

„Juan, ein Dolmetscher, seit Kurzem mit Luisa verheiratet, hat ein besonderes Gespür für Sprache und ihre Macht. Immer wieder muss er Worten und Gesprächen lauschen, fasziniert von ihrer Dynamik und dem Ausdruck des Lebens, der sich in ihnen abspielt. Die Sprache ist das Thema dieses Romans.“

Nein, keine leichte Kost ...

Mit Marías Stil konnte ich mich nicht anfreunden. Seine ellenlangen Schachtelsätze waren nichts für mich und tatsächlich war dieser der erste und letzte Roman, den ich bisher von ihm gelesen habe.

Was ich bis vor Kurzem nicht wusste: Marías, der mit 70 Jahren im September 2022 gestorben ist, hat immer wieder auch als Übersetzer gearbeitet. Von ihm stammt eins meiner Lieblingszitate über das Übersetzen.

„EI texto original, como la partitura musical, está ahí y es inamovible, aunque tanto el traductor como el pianista tengan amplio margen de elección.“

Hier auf Deutsch mit tatkräftiger Unterstützung von der wunderbaren Literaturübersetzerin Barbara Neeb:

„Der Originaltext liegt vor, genau wie die Partitur, und ist unabänderlich, auch wenn sowohl der Übersetzer als auch der Pianist großen Gestaltungsspielraum haben.“

Javier Marías, Mein Herz so weiß, Fischer Taschenbuch, Frankfurt am Main, 2012. (Neuausgabe)

Aus dem Spanischen von Elke Wehr übersetzt

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5# After Dark, Haruki Murakami

Vorgestellt von Katja Althoff

© Katja Althoff

Vor einigen Jahren bin ich auch in einem anderen Buch zufällig über das „Übersetzen“ gestolpert: in „After Dark“ von Haruki Murakami, einer meiner Lieblingsautoren. Kaoru fragt Mari, als sie nachts durch Tokios dunkle Straßen laufen:

University of Foreign Study, huh? What’re ya gonna do after you graduate?

Maris knappe Antwort: „If possible, I’d like to be a freelance translator or interpreter. I don’t think I’m suited to a nine-to-five.“*

Ob das wohl eine versteckte Hommage von Murakami an den englischen Übersetzer dieses Buchs, Jay Rubin, war? Murakami und Rubin sind nämlich persönlich eng befreundet.

*Murakami, Haruki. After Dark. Vintage Books 2008. Seite 55.

Haruki Murakami, Afterdark, DuMont Buchverlag, Köln, 2005.

Aus dem Japanischen von Ursula Gräfe übersetzt

Katja Althoff

Transkreative Übersetzerin und SEO Content Writer für IT-Themen aus Dortmund

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6-7# Avatar 2, James Cameron (2023)

Vorgestellt von Olga Kuzminykh

Vorschau des Trailers "Avatar" auf YouTube

Das Bild eines Berufs in der Gesellschaft wird häufig durch Filme und Bücher geprägt. Filme mit Sprachmittlern in der Hauptrolle findet man nicht so oft. Man sieht sie manchmal in den Nebenrollen, die leider nicht immer positiv auffallen, so wie im Film „Avatar: The Way of Water“.

Miles „Spider“ Socorro ist ein Mensch unter den Na’vi-Stämmen auf dem Planeten Pandora. Wegen seines jungen Alters kann Miles nicht zurück auf die Erde geschickt werden. Er wächst zusammen mit den anderen Na’vi-Kindern in der Familie des Hauptprotagonisten Jake Sully auf. Eines Tages kehren Menschen auf Pandora zurück, um wertvolle Rohstoffe abzubauen. Beim Angriff der Menschen in Form von Avataren wird Miles gefangen genommen. Die Angreifer möchten seine Kenntnisse über Pandora samt seinen Sprachkenntnissen nutzen, um bei einer Besatzungsoperation mit den Na’vi-Stämmen zu kommunizieren. Miles befindet sich in einer Zwickmühle. Er dolmetscht für die Besatzer und ihren Führer Quaritch, der Na’vi vor seinen Augen tötet.

Im Laufe der Handlung versucht Miles alles Mögliche, um sich aus der Gefangenschaft zu befreien und den anderen Na’vi zu helfen. Jedoch stellt es sich heraus, dass der Bösewicht Colonel Quaritch (spoiler alert!) sein Vater ist. Miles rettet ihm das Leben, was ihn an dieser Stelle einerseits zum Verräter macht, andererseits können die Zuschauer verstehen, dass diese Verwandtschaft eine zu große Verführung für einen Menschen darstellt. Miles, der Dolmetscher, gerät dadurch wieder in eine Zwickmühle.

Was jedoch bleibt: eine Darstellung des Dolmetschers, der unfreiwillig an den Verbrechen seiner „Auftraggeber“ teilnimmt und am Ende das Leben des Bösewichts rettet. Die Dolmetscherrolle erhält dadurch einen gewissen Beigeschmack, den Beigeschmack eines Verräters.

Aber „Avatar 2“ ist nicht der einzige Film, in dem Sprachmittler leider im negativen Sinne zwischen zwei Welten schweben und eine moralische Wahl treffen müssen. Ebenso sieht es im Film „Dolmetscherin“ von 2005 aus. Die Hauptfigur verzichtet auf ihre neutrale Rolle einer Dolmetscherin, um einem Mörder zur Rechenschaft zu ziehen und ihn zu töten. Es geht um einen sehr ähnlichen Konflikt: kann man als Dolmetscher:in neutral bleiben? Jedoch wird durch diesen Konflikt die Darstellung eines Dolmetschers „kontaminiert“.

Avatar: The Way of Water - Offizieller Trailer

Olga Kuzminykh

Konferenzdolmetscherin für Russisch

Website: https://de.interpretingstudio.com

LinkedIn: https://www.linkedin.com/in/olga-kuzminykh

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8# Die Anomalie, Hervé Le Tellier

Vorgestellt von marta Pagans

© Marta Pagans

Manche Romane genieße ich am meisten, wenn ich davor kaum vom Inhalt weiß, wenn ich mich von den vielen unerwarteten Wendungen einfach überraschen lasse. Dieser Roman gehört definitiv dazu.

Eine Freundin und Übersetzerkollegin hat mir damals dieses Buch in die Hand gedrückt und gesagt: „Lies mal!“

Das sage ich jetzt auch zu dir: „Lies mal und lass dich einfach überraschen!“

So viel möchte ich dir aber verraten: Victor ist Literaturübersetzer und ein vom Publikum wenig anerkannter Schriftsteller. Sein Leben wird sich dramatisch ändern, wenn er von Paris nach New York fliegt, um einen Übersetzerpreis in Empfang zu nehmen ...

Zwei Zitate zum Nachdenken:

„Die Aufgabe des Übersetzers ist, die reine, im Werk gefangene Sprache zu befreien, indem er sie transponiert.“ (S. 29)

„Eine Übersetzung ist in jedem Fall ein Werk, Übersetzer sind Autoren.“ (S. 163)

Hervé Le Tellier, Die Anomalie, Rowohlt, Reinbek bei Hamburg, 2021.

Aus dem Französischen von Jürgen und Romy Ritte übersetzt

Ich habe es auf Katalanisch gelesen:

Hervé Le Tellier, L’anomalia, Edicions 62, Barcelona, 2021.

Ins Katalanische übersetzt von Jordi Boixadós

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9# Arrival, Denis Villeneuve (2016)

Vorgestellt von Rosa Ferreiro

© Rosa Ferreiro

Stellt euch vor, Außerirdische würden auf der Erde landen. Wie sollten wir erfahren, ob sie gute oder schlechte Absichten haben? „Arrival“ (2016) setzt sich genau mit diesem Szenario auseinander. Dieser Sci-Fi-Film zeigt uns eine diplomatische Krise intergalaktischen Ausmaßes, in der Kommunikation eine entscheidende Rolle spielt.

Die Protagonistin, Dr. Louise Banks, unterrichtet Linguistik an der Universität. Als renommierte Expertin wird sie vom Militär damit beauftragt, die Sprache der Außerirdischen schnellstmöglich zu entziffern, um für die Menschen übersetzen zu können. Durch ihre Arbeit wird allen auf einmal klar, wie komplex Sprache eigentlich ist. Nach einigen Fortschritten wird die Lage brenzlig: Reden die Außerirdischen die ganze Zeit von einer „Waffe“ oder einem „Werkzeug“? Nur eines ist klar: Die Zukunft der Menschheit hängt jetzt am seidenen Faden ihres Sprachgefühls.

Gerade in Zeiten von Krieg erinnert uns dieser Film daran, dass ohne Kommunikation kein Zusammenleben möglich ist: „Sprache ist das Fundament der Zivilisation. Sie ist der Klebstoff, der die Menschen zusammenhält. Sie ist die erste Waffe, die in Konflikten gezogen wird“.

Diese Geschichte zeigt uns auch, wie bedeutend (und knifflig) die Arbeit der Sprachmittler in diplomatischen Kontexten ist. Darüber hinaus sollten Sprach- und Übersetzungswissenschaftler die bloße Existenz von „Arrival“ feiern: Eine Hollywood-Produktion, in der die Sapir-Whorf-Hypothese nicht nur beiläufig erwähnt wird, sondern auch noch zentral für die Geschichte ist. Wie für uns gemacht!

Ein weiterer Pluspunkt für mich: Das mittelalterliche Königreich Galicien wird gleich in den ersten Minuten des Filmes erwähnt. Als galega kann man da nur begeistert sein!

Rosa Ferreiro

Konferenzdolmetscherin und Übersetzerin für Spanisch und Galicisch aus Heidelberg

Website: www.rosaferreiro.com

LinkedIn: www.linkedin.com/in/rferreiro

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10# Faust. Der Tragödie erster Teil, Johann Wolfgang von Goethe

Vorgestellt von Barbara Neeb

© Barbara Neeb

Ich bin in Ingolstadt geboren und dort an der einst hochberühmten Universität sollen zwei bedeutende Gelehrte der Weltliteratur tätig gewesen sein – Victor Frankenstein, der historisch wenig verbürgte Monster-Erschaffer, und Dr. Johann Faust, der 1528 in Ingolstadt genannt wird. Daher habe ich gewisses Faible für Monster und für den Fauststoff in seinen vielen Versionen.

Goethe ging es vielleicht ähnlich, denn er hat bekanntlich dazu gleich mehrere Dramen zur Thematik beigesteuert. Ein weniger bekannter Funfact für uns Übersetzende ist, dass Goethe sein Leben lang gern und viel übersetzt hat, aus „meinen“ Sprachen Italienisch, Englisch und Französisch, aber auch noch Latein und Hebräisch, tja, da kann ich nicht mehr mithalten. Aber nicht nur das, Übersetzen an sich war für ihn ein Thema und er hat etliche kluge Aufsätze dazu geschrieben, um die Arbeit der Übersetzenden sichtbar zu machen. (Das mach ich übrigens auch, im Verein Weltlesebühne mit Veranstaltungen rund ums Literaturübersetzen und einem Youtube-Kanal)

Zurück zum Faust. In „Der Tragödie erstem Teil“ grübelt der Gelehrte Heinrich Faust, ein Multitalent wie Goethe, in seinem Studierzimmer über einer Literaturübersetzung. In nur 14 Zeilen wird eigentlich alles angesprochen, was einen dabei so umtreibt und das finde ich einfach faszinierend. Goethe hat seinem Faust aber auch etwas richtig Kniffliges ausgesucht, nichts Geringeres als die Bibel, genauer das Wort „logos“ aus dem Johannesevangelium.

In vier Schritten findet er vier Lösungen: erst die Rohfassung (Wort) – dann ist er unzufrieden damit und sucht das nächste Wort (Sinn) – jetzt fällt ihm ein, dass der Buchanfang besonders wichtig ist und gelangt zur dritten Fassung (Kraft) – die behagt ihm aber auch noch nicht und es folgt ein Geistesblitz (Tat), der zwar klasse klingt, aber viel zu weit am Original vorbeigeht. (Also schon sehr viel, was Literaturübersetzung - zumindest in meinem Alltag - ausmacht.) Faust hätte hier bestimmt noch stundenlang weiter gemacht, aber naja, dann lenkte ihn ‘ne Mail, ach ne, ein Pudel von der Arbeit ab und so wird auch diese Übersetzung einfach höchst unprofessionell nicht vollendet.

Und hier noch der Text:

Geschrieben steht: „Im Anfang war das Wort!“

Hier stock' ich schon! Wer hilft mir weiter fort?

Ich kann das Wort so hoch unmöglich schätzen,

Ich muss es anders übersetzen,

Wenn ich vom Geiste recht erleuchtet bin.

Geschrieben steht: Im Anfang war der Sinn.

Bedenke wohl die erste Zeile,

Dass deine Feder sich nicht übereile!

Ist es der Sinn, der alles wirkt und schafft?

Es sollte steh‘n: Im Anfang war die Kraft!

Doch, auch indem ich dieses niederschreibe,

Schon warnt mich was, dass ich dabei nicht bleibe.

Mir hilft der Geist! Auf einmal seh' ich Rat

Und schreibe getrost: Im Anfang war die Tat!

Johann Wolfgang von Goethe, Faust. Der Tragödie erster Teil, Weimar 1808



Barbara Neeb

Literaturübersetzerin aus dem Italienischen, Englischen und Französischen, Frankfurt am Main

Website: https://www.lit-translation.de

LinkedIn: https://www.linkedin.com/in/barbara-neeb

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11# Daniel Stein, Ljudmila Ulitzkaja

Vorgestellt von Olga Kuzminykh

© Olga Kuzminykh

„Daniel Stein“, so heißt ein Roman der russischen Schriftstellerin Ljudmila Ulitzkaja (aus dem Russischen von Ganna-Maria Braungardt übersetzt). Auf Russisch klingt der Romantitel jedoch ein wenig anders: „Daniel Stein, der Übersetzer“ (oder „Daniel Stein, der Dolmetscher“ – im Russischen werden diese Begriffe mit einem Wort beschrieben).

Im Fokus des Romans steht das Leben eines gewissen Daniel Stein: Dolmetscher, Übersetzer und später katholischer Priester. Der Protagonist war eine reale Figur: Oswald Rufeisen. Ihn lernte die Schriftstellerin in den 1990-ern in Moskau kennen. Er war gebürtiger Jude, der in Polen aufgewachsen ist. Schon als Junge sprach er nicht nur Polnisch, sondern Deutsch, Hebräisch und ein wenig Jiddisch. 1939 floh er vor den deutschen Truppen bis nach Weißrussland.  Als er fast von der Gestapo geschnappt wurde und dem sicheren Tod entkam, gelang es ihm, dank perfekten Sprachkenntnissen, sich als Deutscher auszugeben. Ein wenig später war er gezwungen, als Dolmetscher für die Gestapo zu arbeiten: „Ich wollte nicht bei der Polizei arbeiten. Ich hatte eine Nacht, um mich zu entscheiden. Ein schrecklicher Gedanke: Ich als Jude im Dienst der Polizei. Aber ich dachte mir, wenn ich für Semjonowitsch arbeitete, könnte ich wahrscheinlich einige Menschen retten, die von der Polizei gejagt wurden. (…) Viele der Verfolgten wussten nicht, was man von ihnen wollte, warum sie bestraft wurde. Die Chance, ihnen zu helfen, gab mir meine Würde zurück.“

1942 rettete er dank der Informationen, die er als Dolmetscher bei der Polizei bekommen hatte, 300 jüdischen Häftlinge. Wie durch ein Wunder gelang es ihm zu fliehen. Er tauchte für eine Weile in einem katholischen Kloster unter und kam 1959 nach Israel. Seitdem verbrachte er sein ganzes Leben dort als Mönch und katholischer Priester.

Seine Sprachkenntnisse sind bewundernswert: „Er übersetzt Texte aus dem Alten Testament und anderen Schriften vom Griechischen ins Hebräische. Natürlich existieren solche Übersetzungen längst, aber Daniel meint, sie seien voller Ungenauigkeiten, ja sogar Fehler. Ich habe ihn mal gefragt, wie viele Sprachen er beherrscht. Er sagte, gut beherrsche er nur drei: Polnisch, Deutsch und Hebräisch. Doch das stimmt nicht. Er macht Führungen auf Italienisch, Spanisch, Griechisch, Französisch, Englisch und Rumänisch, und ich habe ihn mit Tschechen, Bulgaren und Arabern in deren Muttersprache reden gehört.“ Als Priester übersetzt er nicht nur religiösen Texte, sondern unterstützt tatkräftig seine Gemeinde unter anderem als Dolmetscher: begleitet die Neuankömmlinge, die kein Hebräisch können, ins Krankenhaus usw.

Was den Roman sehr gut zusammenfasst, sind Daniels eigene Worte: „Mein Leben lang denke ich darüber nach, warum es in der Welt so an Verständnis mangelt. Überall! Die Alten verstehen die Jungen nicht, die Jungen nicht die Alten, Nachbarn verstehen einander nicht, Lehrer und Schüler, Chefs und Untergebene … (…) Und das alles ist selbst dann so, wenn die Menschen dieselbe Sprache sprechen! Und wenn sie erst verschiedene Sprachen sprechen? (…) Ich weiß nicht, warum das so ist. Vielleicht, weil für den modernen Menschen nicht das Verstehen wichtig ist, sondern das Siegen, Beherrschen, Konsumieren.“ Er geht über den Beruf des Übersetzers und Dolmetschers hinaus: Er ist Philosoph und Intellektueller. Aber es bleibt nicht nur bei Worten, er hilft den Menschen sein Leben lang. Die Sprache ist nur ein Instrument dazu.

Ljudmila Ulitzkaja, Daniel Stein, dtv, München, 2010

Aus dem Russischen von Ganna-Maria Braungardt übersetzt

Olga Kuzminykh

Konferenzdolmetscherin für Russisch

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12# Charade, Stanley Donen (1963)

Vorgestellt von Barbara Neeb

Vorschau einer Szene des Filmes "Charade" auf YouTube

Meine Mutter war ein großer Cary-Grant-Fan, und so wuchs ich mit vielen US-Screwball-Klassikern auf. Die man auch heute noch mit großem Genuss ansehen kann (ich sage nur Leoparden küsst man nicht – ohne Übersetzende, dafür mit einem Paläontologen, auch unbedingt gucken!). Hier in Charade spielt die wunderbare Audrey Hepburn eine Simultandolmetscherin, deren Mann ermordet wurde, dessen riesige Hinterlassenschaft zudem verschwunden ist. Ab sofort wird sie von diversen Geheimdienstleuten verfolgt, die es alle auf das Geld abgesehen haben. Der Film ist voller überraschender Wendungen, die Verfolger sterben einer nach dem anderen, und nie weiß die arme junge Witwe, wem sie trauen kann. Noch dazu, wo ihr der charmante Cary Grant (damals übrigens schon 59, 25 Jahre älter als seine Filmpartnerin) den Kopf verdreht. Aber ist er Freund oder Feind? Schauplatz ist übrigens Paris – auch das ein herrliches Setting!

Das Ende wird natürlich nicht verraten – es bleibt spannend bis zum Schluss!

Der Film gehörte zu den ersten, der in dem eine Dolmetscherin, sogar in einer Kabine mit Headset, auftrat – hier in dieser Szene allerdings mit empörend unprofessionellem Verhalten:

https://youtu.be/PmQNBo7eX6M


Barbara Neeb

Literaturübersetzerin aus dem Italienischen, Englischen und Französischen, Frankfurt am Main

Website: https://www.lit-translation.de

LinkedIn: https://www.linkedin.com/in/barbara-neeb

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13# Una casa llena de gente, Mariana Sández

Vorgestellt von marta Pagans

© Marta Pagans

Nach dem Tod ihrer Mutter erhält Charo einen unerwarteten Nachlass: die Tagebücher ihrer Mutter, eine beachtliche Sammlung an Familienfotos und -videos, sowie eine lange Liste mit Anweisungen, was sie damit machen soll.

So beginnt Charo die eigene Familiengeschichte zu erforschen und entdeckt dabei eine neue Seite ihrer Mutter Leila, leidenschaftliche Bücherliebhaberin, Übersetzerin und frustrierte Schriftstellerin (nein, keine ungewöhnliche Kombi …).

Eine intime Geschichte, wunderschön im argentinischen Spanischen geschrieben, über den Kosmos eines kleinen Wohnhauses und der Menschen, die darin leben.

Wenn du Spanisch gut beherrschst, eine klare Leseempfehlung von mir. Und, wer weiß, vielleicht wird dieser Roman irgendwann mal ins Deutsche übersetzt. Ich halte die Augen offen und berichte gerne.


Mariana Sández, Una casa llena de gente, Impedimenta, Madrid, 2022.


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14# Reibungsverluste, Mascha Dabić

Vorgestellt von Nicole Weiss

© Nicole Weiss

Übersetzungstheoretische Überlegungen in einem Roman verpackt … Die Protagonistin, Nora, arbeitet als Dolmetscherin bei Psychotherapien mit traumatisierten Flüchtlingen. Und ihre berufliche Tätigkeit ist keine Nebensache im Roman, ganz im Gegenteil. Ich muss gestehen, dass ich die weiteren Handlungen nicht mehr so genau im Kopf habe, irgendwie geht es auch um eine gescheiterte Liebesbeziehung und um die Schwierigkeiten der jungen Frau, ihr Alltag auf die Reihe zu kriegen und mit ihren Gefühlen klarzukommen.

Geblieben sind mir die Gedanken rund um das Dolmetschen, warum beispielsweise Nora «in erster Linie ihrer eigenen sprachlichen Intuition [vertraute] und sich um eine adäquate Wiedergabe der kommunikativen Absicht [bemühte], anstatt sich auf die jeweils verwendeten Wörter zu konzentrieren». Oder darum, die Stille auszuhalten, weil, so die Therapeutin Roswitha, die Mühe hat, mit ihrer Dolmetscherin eine Beziehung aufzubauen, Schweigen «ein gleichberechtigtes Element der Kommunikation» ist.

Insbesondere thematisiert der Roman, was das emotional bedeutet, in Traumatherapien zu dolmetschen:

«Wenn Folter oder Vergewaltigung zum Thema in der Therapie wurden, und früher später war das bei jedem Klienten der Fall, dann hielt sich Nora Krampfhaft an ihrer Wahrnehmung fest, studierte aufmerksam den Gesichtsausdruck des Klienten, starrte auf die in sich zusammengesackte Topfpflanze am Fenster, trank einen Schluck Wasser, betrachtete die Hände des Klienten oder fummelte selbst an einem Taschentuch herum, konzentrierte sich auf das Dolmetschen, auf diesen alchemischen Prozess, im Zuge dessen das Gesagte in einer bestimmten Wortkombination durch den Gehörgang in ihren Kopf eindrang und in einer anderen Form, möglichst unbeschadet und so wenig wie möglich durch Reibungsverluste in Mitleidenschaft gezogen, durch den Mund wieder verliess. Der etwaige Schaden, den der Kanal, also Noras Kopf, durch diese Transaktion möglicherweise nahm, interessierte nicht. Reibungslos sollte die Kommunikation ablaufen, das war das Ideal, keine Reibung, keine Verluste. Dabei waren Reibungsverluste nichts anderes als Wärme, genau genommen die Umwandlung von Bewegungsenergie in Wärmeenergie, das wusste Nora noch aus dem Physikunterricht, aber die Sprache entzog sich wohl diesen Gesetzmässigkeiten, und Wärme entstand manchmal erst dort, wo Sprache aufhörte.

Wenn die kritischen Augenblicke vorüber waren, spürte Nora gemeinsam mit dem Klienten die Erleichterung darüber, dass da Unsagbare schliesslich doch noch ausgesprochen worden war und sogar den Weg in einer anderen Sprache gefunden hatte, sie war froh, daran mitgewirkt zu haben, dass diese Worte nach aussen drängen konnten, wo sie gut aufgehoben waren […]»

Mascha Dabić hat übrigens auch noch ein Fachbuch zum Thema geschrieben, das ebenfalls sehr lesenswert ist: «Dolmetschen in der Psychotherapie. Prekäres Gleichgewicht» (Narr, 2021)

Mascha Dabić: «Reibungsverluste». Roman. Edition Atelier Wien, 2017.

Nicole Weiss

Übersetzerin, Revisorin und interkulturelle Dolmetscherin Deutsch-Französisch

weiss traductions genossenschaft, Gründerin und Co-Geschäftsleiterin

Website: https://weiss-traductions.ch

LinkedIn: https://www.linkedin.com/in/nicole-weiss

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15# Die Übersetzerin, Jenny Lecoat

Vorgestellt von Jane Eggers

© Jane Eggers

„Die Übersetzerin“ spielt während des Zweiten Weltkriegs auf der Kanalinsel Jersey. Die jüdische Hauptfigur, Hedy, ist vor den Nazis dorthin geflüchtet, ist aber auch da nicht lange sicher, da die deutsche Besatzungsmacht bald die Insel übernimmt.

Da Hedy keine Möglichkeit mehr hat, Geld zu verdienen und für sich selbst zu sorgen, nimmt sie als Notlösung eine Stelle als Übersetzerin im deutschen Lager. Die meisten dort wissen nichts von ihrer Herkunft, auch nicht der deutsche Offizier, Kurt, in den sie sich verliebt.

Obwohl Hedys Übersetzerstelle ihr Überleben vorerst sichert und das weitere Geschehen überhaupt möglich macht, spielt die Übersetzertätigkeit an sich keine große Rolle. Der englische Originaltitel ist „Hedy’s War“, ohne den Fokus auf ihren Job. In dieser fesselnden Geschichte geht es vielmehr darum, wie Hedy es schafft zu überleben und ihr Geheimnis zu bewahren, um die Beziehungen, die sich in dieser äußerst prekären Situation entwickeln, und um ein spannendes Porträt einer Insel in der Besatzungszeit.

Historische Ereignisse werden lebendig, wenn sie durch persönliche Geschichten erzählt werden. Da ich vorher nicht viel über die Kanalinseln wusste, habe ich nicht nur mit Hedy und den anderen Figuren mitgezittert, sondern auch meinen eigenen Horizont erweitert. Klare Leseempfehlung!



Jenny Lecoat, Die Übersetzerin, Lübbe, Köln, 2021

Aus dem Englischen von Anke Kreutzer übersetzt



Jane Eggers

Britin in Heidelberg, die deutsch-englische Übersetzungen bietet für die IT-Branche

Website: www.jane-eggers-translations.de

LinkedIn: https://www.linkedin.com/in/janeeggers/

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16# Junil a les terres dels bàrbars, Joan-Lluís Lluís

Vorgestellt von Marta Pagans

© Marta Pagans

Witzig irgendwie. Kaum habe ich im Juni 2023 diesen Blogartikel veröffentlicht, nehme ich mir den nächsten Roman aus meinem SUB (aka Stapel ungelesener Bücher) vor und siehe da ... Auf einmal taucht in einer klitzekleinen Rolle der nächste Übersetzer auf. 

Baum ist ein germanischer Krieger, der einen Arm in einer Schlacht verloren hat. Als er sich einer Gruppe Römer:innen anschließt, die ihm das Leben gerettet haben, lernt er schnell ihre Sprache und macht sich so nützlich. 

„I així s'adona que passar paraules i frases d'una llengua a l'altra també és útil i també cansa, encara que no cansi el cos. I això vol dir que també deu ser una feina.“* 

„Und so stellt er fest, dass das Übertragen von Wörtern und Sätzen von einer Sprache in die andere auch nützlich und anstrengend ist, auch wenn es den Körper nicht ermüdet. Und das bedeutet, dass es auch Arbeit sein muss.“ 

Junil im Land der Barbaren ist ein außergewöhnlicher Abenteuerroman über den Freiheitswunsch und die Leidenschaft fürs Lesen einer jungen mutigen Frau im alten Rom. Wenn du Katalanisch oder Spanisch lesen kannst, eine klare Leseempfehlung von mir. 

*Joan-Lluís Lluís, Junil a les terres dels bàrbars, Club Editor, Barcelona, 2021. S. 166.

 Joan-Lluís Lluís, Junil en tierra de bárbaros, Club Editor, Barcelona, 2022. Ins Spanische von Edgardo Dobry übersetzt.

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17# Biscotti e sospetti, Stefania Bertola

Vorgestellt von Irina Brüning

Bild von Irina Brüning

Stefania Bertola hat nicht nur zahlreiche Romane veröffentlicht, sie ist auch als Drehbuchautorin und Übersetzerin aus dem Englischen tätig. Die italienischen Versionen der „Shopaholic“-Bücher von Sophie Kinsella stammen von ihr.

Bertolas Romane zeichnen sich stets durch ein fröhliches Durcheinander von Personen aus. In „Biscotti e sospetti“ aus dem Jahr 2004 lernen wir unter anderem Rebecca Demagistris kennen, die nach drei gemeinsamen Töchtern von ihrem Mann verlassen wurde. Eigenes Geld verdient Rebecca unter einer Burka verborgen als Wahrsagerin – und als Übersetzerin von Romanen. Gleich am Anfang von „Biscotti e sospetti“ wird ihr aktuelles Projekt vorgestellt: der in Kanada spielende Thriller „Lamplight“ des fiktiven Autors Ross Morton. Die Hauptperson Tom ist Experte für Blitze, ein in seiner Gegend aktiver Killer hinterlässt stets die Zeichnung eines Blitzes auf dem Körper seiner Opfer ...

Im Verlauf von Bertolas Roman wird nicht nur Rebeccas Geschichte weitererzählt, sondern an einigen Stellen auch die von Tom; am Ende von „Biscotti e sospetti“ erscheint „Lamplight“ in italienischer Übersetzung. Je weiter Rebeccas Arbeit fortschreitet, desto weniger streng hält sie sich an den Originaltext.

Ob Stefania Bertola das mit den Romanen von Sophie Kinsella auch so gehandhabt hat und ob sie ebenso wie Rebecca häufig spät am Abend übersetzt hat? Nach eigener Aussage lässt sie sich von realen Personen und Ereignissen inspirieren, erfindet aber auch sehr viel.

„Biscotti e sospetti“ ist unter dem Titel „Küss mich, Amore!“ im Jahr 2006 im Goldmann Verlag auch auf Deutsch erschienen und wurde aus dem Italienischen von Karin Diemerling übersetzt.


Irina Brüning

Irina Brüning ist Romanistin, ehemalige freie Übersetzerin, nunmehr angestellte Online-Redakteurin und veröffentlicht gelegentlich Texte über Sprache, Literatur und Musik.

Website: http://www.ib-wortarbeiten.de

LinkedIn: https://www.linkedin.com/in/irina-brüning

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18# Der Russe ist einer, der Birken liebt, Pola Beck (2022)

Vorgestellt von Lisa Woytowicz

Bild: Lisa Woytowicz

2022 lud mich eine Freundin zu einer Filmpremiere ein. Sie habe beim Dreh als Set-Runnerin gearbeitet und könne eine Begleitung mitbringen. Als großer Kinofan sagte ich sofort zu. Jedoch dämmerte mir erst nach einigen Filmminuten, warum meine Freundin ausgerechnet mich zur Premiere eingeladen hatte.

Die Protagonistin in „Der Russe ist einer, der Birken liebt“ ist angehende Konferenzdolmetscherin. Zusammen mit ihrem besten Freund bereitet Mascha sich auf die Abschlussprüfungen vor. Ihr Ziel ist eine Stelle bei den Vereinten Nationen. Für unsereins liegt darin ein kleiner Schönheitsfehler: Deutsch ist keine UN-Sprache. Und die UN arbeitet mit dem Muttersprachenprinzip. Aber wer weiß das schon.

Der Film unter der Regie von Pola Beck basiert auf dem gleichnamigen Roman von Olga Grjasnowa. Die Geschichte bietet viele Wendungen; aufgebaut ist sie wie ein klassisches Drama, das jedoch nicht chronologisch erzählt wird. Ich möchte nicht zu viel verraten. So viel sei jedoch gesagt: Es geht um Schuld, Verrat, Trauer und immer wieder um Selbstfindung und Identität(en).

Aylin Tezel spielt Mascha jugendlich, ausdrucksstark und emotionsgeladen. Stück für Stück erfährt man mehr über Mascha als Mensch, über ihre Vergangenheit, Stärken und Schwächen. Auch wenn längst nicht alle Konferenzdolmetscher:innen ein so bewegtes Leben zwischen Kulturen, Ländern und persönlichen Tiefpunkten führen, dient der Beruf im Film als eine Art logische Konsequenz dessen, was Mascha aus- und durchmacht. Für den Plotverlauf spielt er jedoch eine untergeordnete Rolle. Daher verzeihe ich dem Film die „dolmetschtechnischen“ Fehler, die alle Menschen außerhalb unserer beruflichen Blase eh übersehen.

Kolleg:innen, die in Köln studiert haben, werden einige Drehorte vielleicht wiedererkennen. Allein aufgrund der großartigen Bildsprache und schauspielerischen Leistung kann ich den Film nur wärmstens empfehlen.


https://www.ardmediathek.de


Lisa Woytowicz

Konferenzdolmetscherin und Übersetzerin für Deutsch, Englisch und Portugiesisch aus Essen

Website: https://lw-dolmetschen.de

LinkedIn: www.linkedin.com/in/lisa-woytowicz

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19# Valeria, Netflix (2020-2024)

vorgestellt von Marta Pagans

Wenn mir Dolmetscherinnen in Romanen oder Filmen begegnen, staune ich jedes Mal. Denn entweder verfügen sie über Superkräfte oder sie zeichnen sich durch ein komplett unprofessionelles Verhalten aus. Lola fällt unter beide Kategorien.

Diese junge Dolmetscherin schafft es, in der Kabine den ellenlangen Sprachnachrichten ihrer Freundin Valeria zu lauschen und gleich danach das zu verdolmetschen, was der Vortragende im Tagungsraum gerade gesagt hat. Hut ab! Was für eine Leistung.

Ihr „komplett unprofessionelles Verhalten“ (auch in der Kabine) möchte ich jetzt hier nicht spoilern. Aber so viel sei verraten – dazu kommt es schon in Folge 2 der ersten Staffel.

Die Netflixserie Valeria erinnert mich hin und wieder an Sex and the City mit Carrie Bradshaw. Vier Freundinnen Anfang 30 in einer Großstadt. Alle hübsch, alle schlank, alle immer top gekleidet. (Es sei denn, sie stecken gerade in einem emotionalen Loch und kommen nicht aus dem Haus ... Und selbst dann ist der Schlabberlook irgendwie auch schick.) Es gibt viel Zeit und viel Raum für wilde Partys, Liebeskummer, Flirten und (recht expliziten) Sex.

Wenn man aber genauer hinguckt, sieht man, dass auch die nicht so ganz einfachen Fragen des Lebens behandelt werden: Liebe und Sex in langjährigen Beziehungen, die Sehnsucht nach Nähe und gleichzeitig die Angst davor, Schreibblockaden, Selbstzweifel und Selbstsabotage ...

Wer also Lust auf leichte (aber nicht seichte) Unterhaltung, auf Madridflair und auf modernen spanischen Slang hat, sollte der Serie eine Chance geben. (Zumindest bis Folge 2 ...)


Valeria, offizielle Trailer für Staffel 1 und 2 auf Deutsch

Valeria, offizieller Trailer auf Spanisch

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20# Das Rätsel, Les traducteurs, Régis Roinsard (2023)

vorgestellt von Marta pAGANS

9 Literaturübersetzer:innen aus der ganzen Welt lassen sich in einem Bunker einschließen, um zeitgleich das Finale einer Trilogie zu übersetzen. Als die ersten zehn Seiten des streng geheimen Manuskripts online erscheinen und sich plötzlich ein unbekannter Erpresser beim Verleger des Buches meldet, wird es im Bunker sehr schnell sehr ungemütlich ...

Ach, diesen Film muss ich mir unbedingt anschauen, dachte ich, als ich davon gehört habe. Und ich habe es tatsächlich geschafft, ihn im Kino zu sehen.

Leider fängt der Film sehr langatmig an. So langatmig, dass ich zwischendurch ein paarmal eingenickt bin. (Dazu muss ich sagen: Es war spät, es war warm, ich war extrem müde ...)

Meinem Mann und meiner Ältesten (nein, keine Mitglieder der Übersetzungszunft) hat der Film trotzdem gut gefallen. Vor allem wegen des vielen unerwarteten Wendungen.

Ich habe mir vorgenommen, den Film ein zweites Mal zu schauen. Dann aber früher am Abend, wenn ich nicht so müde bin, am liebsten in der Originalversion mit Untertiteln. Denn so kommen die verschiedenen Muttersprachen von den Schauspieler:innen und ihre Akzente auf Französisch bestimmt besser zur Geltung. Unter ihnen habe ich übrigens einen in die Jahre gekommenen Eduardo Noriega entdeckt. (Tja, der spanische Kultfilm Thesis ist inzwischen, das musste ich schnell nachschauen, 28 Jahre her ...)


https://www.imdb.com

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21# Babel, Rebecca F. Kuang

vorgestellt von Leda Costea-Nicolae

© Privat

Als mir ein Freund Babel empfohlen hat, meinte er, es sei ein antikolonialistisches, antirassistisches Manifest, das als Fantasy getarnt wurde. Die Geschichte spielt zwischen England und China in den 1830er-Jahren. Der Hintergrund bleibt sehr nah an der historischen Realität. Im Buch basiert die industrielle Revolution jedoch auf Magie, genauer gesagt auf der Verarbeitung von Silber.

Das von R. F. Kuang erfundene magische System ist der Grund, warum Übersetzende dieses Buch lieben werden. Es funktioniert folgendermaßen: Ein Übersetzer graviert ein Wort oder einen Satz auf die eine Seite eines Silberbarrens und die entsprechende Übersetzung auf die andere Seite. Was in der Übersetzung verloren geht, sei es in Form von etymologische Nebenbedeutungen, Anspielungen oder Konnotationen, wird dank Magie sichtbar. Übersetzende werden sich über all die magischen Wortpaare freuen, die in diesem Roman erklärt werden. Mir ging es jedenfalls so.

Was ist aber mit der Handlung? Die Hauptfigur, ein Waisenjunge aus China, wird von einem britischen Professor für Übersetzungsstudien adoptiert, damit er am renommierten Oxford Royal Institute of Translation studieren kann. Im Laufe seines Studiums entdeckt er zusammen mit seinen Freunden jedoch, wie viel Schaden ihre Arbeit als Übersetzende der britischen Arbeiterklasse, aber vor allem ihren Heimatländern zufügt. Folge dem Protagonisten bei seinem Versuch, den mächtigen britischen Imperialismus zu stoppen!

Mit den behandelten Themen, wie Antikolonialismus, Antirassismus und Feminismus, seinem innovativen magischen System, seiner Dark-Academia-Vibe und der Komplexität der Charaktere hat mich dieser Roman einfach begeistert.

Rebecca F. Kuang, Babel, Harper Voyager, New York 2022.

Rebecca F. Kuang, Babel, Eichborn Verlag, Köln 2023.

Aus dem Englischen von Heide Franck und Alexandra Jordan übersetzt

Leda Costea-Nicolae

Übersetzerin Englisch-Rumänisch für Soziales

LinkedIn: www.linkedin.com/in/ioana-leda-costea-nicolae

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22# Das Gewicht der Worte, Pascal Mercier

vorgestellt von Marta Pagans

„Oh, danke! Geht es um einen Übersetzer?“ „Jepp!“ Dieser Roman habe ich von einer Freundin zum Geburtstag bekommen. Sie kennt mich gut.

Nein, ich habe ihn noch nicht gelesen. Für dieses fast 600 Seiten schweren Werk warte ich lieber bis zum nächsten Urlaub.

Einen Auszug aus dem Buchumschlag kann ich dir gerne hier kopieren: „Seit seiner Kindheit ist Simon Leyland von Sprachen fasziniert. Gegen den Willen seiner Eltern wird er Übersetzer und verfolgt unbeirrt das Ziel, alle Sprachen zu lernen, die rund um das Mittelmeer gesprochen werden.“

Und diese Rezension von NDR auch: „Ein hochgradig reflektierter Roman, der nicht nur die Geschichte eines erwachenden Autors, sondern eines sich völlig neu erfindenden Menschen erzählt.“

Ich freue mich schon darauf!


Pascal Mercier, Das Gewicht der Worte, Hanser Verlag, München 2020.

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23# Deutsches Haus, Disney+ (2023)

vorgestellt von Marta Pagans

Bei Buchverfilmungen bin ich immer skeptisch. Danach bin ich in der Regel enttäuscht. Nicht diesmal. Annette Hess‘ Roman, den ich damals verschlungen habe, wird hier aufwendig inszeniert, mit berührender Musik und einem beeindruckenden Schauspielensemble (Anke Engelke, Hans Jochen Wagner, Heiner Lauterbach ...). Die junge Katharina Stark, die mir noch unbekannt war, glänzt hier als die einfühlsame Protagonistin Eva Bruhns. 

Eva ist Europasekretärin mit Polnisch. An einem Sonntag im Jahr 1963 wird sie ganz dringend als Dolmetscherin gebraucht. In ein paar Tagen fängt der Auschwitz-Prozess an. Ein Ort, von dem sie bis dahin noch nie gehört hat. Im Prozess erfährt vieles über die dunkle Vergangenheit ihres Landes, aber auch über die ihrer Familie ... 

Von mir eine unbedingte Empfehlung!

 

https://www.swr.de

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Und kanntest du schon alle? Hast du weitere Tipps für uns? Was steht bei dir gerade auf der Leseliste? Und auf der Filmliste? Wir sind gespannt!

(Übrigens ... Dieser Blogartikel wird laufend ergänzt. Wenn du einen weiteren Vorschlag hast, melde dich gerne bei mir. :-)

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