Marta Pagans

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Nein sagen lernen – die ultimative Anleitung für eine entspanntere Selbstständigkeit

© Joshua Hoehne via Unsplash


„Marta, du sprichst so viele Sprachen und in keiner kannst du Nein sagen!“

Diese scharfsinnige (und treffende) Bemerkung hat ein Übersetzerkollege vor vielen vielen Jahren zu mir gesagt. (Dafür danke, lieber Ian!)

Irgendwann ist mir klar geworden, wie sehr dieses Nein-sagen-können meine Selbstständigkeit als Übersetzerin und auch auf mein privates Leben beeinflusst hat. Und nein, nicht positiv.

Seitdem habe ich zum Thema viel gelesen, manches ausprobiert und dabei einiges gelernt. Heute gelingt mir das Neinsagen zwar noch nicht immer. Aber immer öfter.

Das Neinsagen hat bei meiner Produktivität als selbständige Übersetzerin Wunder gewirkt. Nein zu sagen, ist eine der 18 Maßnahmen, die ich regelmäßig ergreife, um auf meine psychische Gesundheit zu achten.

In diesem Artikel lade ich dich als Erstes zur Reflexion ein. Wenn du es eilig hast, gelangst du hier direkt zu meinen pragmatischen Strategien, Tipps und Tricks, die du schon heute anwenden kannst.

 

Der erste Schritt – Die Bestandsaufnahme

Wenn du diesen Artikel gerade liest, gehe ich davon aus, dass dir das Neinsagen grundsätzlich oder in bestimmten Situationen schwerfällt, und dass du das ändern möchtest.

Wenn ich an einer bestimmten Situation etwas verändern möchte, hilft es mir darüber zu reflektieren. Am besten mit Stift und Papier. Machst du gleich mit?

Da ich leider von Natur aus dazu tendiere, das Glas eher halb leer als halb voll zu sehen, fangen wir lieber beim Erfreulichen an. In diesem Fall wäre es: 






Wann sagst du Nein?

Auch wenn es dich vielleicht Überwindung kostet, gibt es Momente, in denen du auch mal Nein sagst? Gibt es bestimmte Situationen, in denen dir das sogar leichtfällt? Nimm dir ein bisschen Zeit und überlege: Wann hast du in letzter Zeit Nein gesagt? Zu wem? Warum? 

Nein zu sagen zu unverschämten Bedingungen, fremden Fachgebieten oder komplett unrealistischen Lieferterminen, ist mir zum Beispiel nie schwergefallen. Das mache ich grundsätzlich nicht. Ich habe darüber absolute Klarheit. Wenn diese eine Person, die mich darum bittet, das nicht versteht und darüber nicht erfreut ist, tja, dann ist es halt so. Damit kann ich leben. 

Vielleicht stellst du fest: in bestimmten Bereichen, zu bestimmten Menschen, gelingt dir doch Nein zu sagen und es fällt dir sogar leicht. Das ist schon mal ein guter Ausgangspunkt! 

Fällt dir das Neinsagen nie leicht? Tust du das so gut wie nie? Keine Sorge. Neinsagen kann man (und frau!) lernen.

 

Wann sage ich Ja anstatt Nein?

Schau auf die letzten Tage, Wochen oder Monate zurück:

  • Bei welchen Situationen hast du dich im Nachhinein geärgert, dass du nicht Nein gesagt hast?

  • Wann hattest du beim Ja-Sagen schon ein mulmiges Gefühl?

  • Wann hast du letztens gedacht: „Dazu kann ich unmöglich Nein sagen, oder?“

 

Und überlege:

  • Wer hat dich was gefragt, wann und wie? Welche Rolle spielt diese Person in deinem Leben?

  • Wie hast du dich dabei gefühlt?

  • Was für Gedanken sind aufgetaucht? 

Wie gesagt, zurückschauen und reflektieren hilft mir sehr. Am besten gelingt es mir, wenn ich meine Gedanken unsortiert und unzensiert per Hand schreibe. Das Freischreiben hat bei mir einen schönen Nebeneffekt: Es hilft mir, den Kopf freizubekommen und Vergangenes ruhen zu lassen. 

Das Geschriebene noch mal durchzugehen, gibt mir einen gewissen Abstand dazu. So ist es mir mit der Zeit gelungen, Ängste und Glaubenssätze zu entlarven, von denen ich nicht mal wusste, dass sie da waren. Bei Rückfällen (ja, die gibt es auch bei mir) hilft mir das Freischreiben, recht schnell alte Muster zu erkennen. 

Geh noch mal deine Notizen durch. Erkennst du da erste Muster, Ängste oder Glaubenssätze? Gratuliere! Diese Erkenntnisse sind sehr wertvoll und schon ein Riesenschritt. Dazu unten mehr.

 

Ein kleiner Anfang − Geh in die Selbstbeobachtung

In den nächsten Tagen nimm eine neugierige Haltung ein und beobachte dich selbst. Erst mal ohne etwas ändern zu wollen: „Aha, hier habe ich Nein gesagt. Mmm. Wie fühle ich mich gerade?“; „Aha, hier habe ich auf Anhieb Ja gesagt, obwohl ich das eigentlich nicht wollte. Was mich wohl dazu getriggert hat?

Dir gefallen diese Tipps?

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Trigger erkennen – Wann wirst du schwach?

Eine liebe Kollegin hat mir mal erzählt, sie würde besonders dann schwach, wenn jemand unfreundlich zu ihr ist. Wenn jemand ihr suggeriert, sie würde nicht hart oder lang genug arbeiten, würde sie sich ganz klein fühlen und sofort nachgeben. Aha, dachte ich, wie interessant. Wie unterschiedlich wir doch sind. 

Ich ticke da ganz anders. Auf meine Tränendrüse zu drücken oder auf mein Ego zu appellieren, funktioniert bei mir viel besser als Druckausüben. 

Kennst du diese Sätze auch?

  • „Du lieferst immer so erstklassige Arbeit. Deswegen würde es mir sehr viel bedeuten, wenn du …“

  • „Wenn du es machst, bin ich 100 % sicher, dass es gut wird …“

  • „Die Endkundin war leider krank und jetzt ist es leider sehr eilig …“

  • „Mir geht es nicht anders. Ich werde dieses Wochenende auch durcharbeiten müssen ...“ 

Früher wurde ich jedes Mal schwach. Seitdem mir bewusst ist, dass mich solche Sätze triggern, kann ich viel besser kurz anhalten, tief Luft holen und in Ruhe überlegen, ob ich das wirklich machen möchte oder nicht. Dazu später mehr ...

 

Wo ist deine Angst?

Ich behaupte Folgendes: Hinter jedem unfreiwilligen Ja verbirgt sich oft eine Angst. Oder auch ein Glaubenssatz. 

Meine Angst? Nicht gemocht zu werden. Mein Glaubenssatz? Wenn ich mich nicht anpasse, werde ich ausgeschlossen. 

Deswegen hat auf mein Ego zu appellieren und auf die Tränendrüse zu drücken, früher so gut funktioniert. Das war keine schmeichelhafte Erkenntnis. Aber eine wichtige! 

Wenn du deine Angst entlarvst, wenn du einen einschränkenden Glaubenssatz benennen kannst, bist du schon einen großen Schritt weiter. 

  • Hast du vielleicht Angst, egoistisch rüberzukommen, wenn du jetzt diese eine Bitte ablehnst? 

  • Hast du vielleicht Angst, einen unprofessionellen Eindruck zu hinterlassen, wenn du nicht bereit bist, immer sofort zu liefern und Tag und Nacht zu arbeiten? 

  • Hast du vielleicht Angst, eingebildet oder gierig zu wirken, wenn du für diesen einen Auftrag auf eine bessere Bezahlung als deine Kollegin bestehst?

 Geh bitte noch mal über deine Notizen. Erkennst du da Glaubenssätze? „Hauptsache Arbeit“ hat vielleicht dein Opa früher immer gesagt oder „Man kann sich nicht die Rosinen rauspicken.“ Nein? Wieso eigentlich nicht? „Selbstständig heißt ja ‚selbst‘ und ‚ständig‘.“ Ach, ja? Wirklich? „Besser der Spatz in der Hand …“ Musst du diesen kleinen lästigen Auftrag annehmen, wenn dein Konto gut gefüllt ist und du einen ordentlichen Notgroschen hast? 

Vielleicht tauchen da sogar Gedanken auf, die deinem Weltbild und deinen Überzeugungen gar nicht entsprechen: „Eine gute Mutter steckt immer zurück und opfert sich für ihre Kinder auf.“ 

Auch wenn ich sie mittlerweile entlarvt habe, schlummern meine Ängste und Glaubenssätze in meinem Unterbewusstsein. In Stresssituationen tauchen sie dann sehr gerne auf. Wenn ich nicht aufpasse, kann es schnell passieren, dass ich aus Reflex Ja statt Nein sage.

 

Eine solide Basis – Fang bei deinen Werten an

Kennst du dieses Gefühl am Ende des Tages, der Woche, des Jahres, wenn du zurückschaust, und du gar nicht zufrieden bist?

  • Du wolltest mehr netzwerken und wieder aktiver im Übersetzerverband sein, aber immer kam ein eiliger Auftrag dazwischen ...

  • Du wolltest mehr arbeiten und bessere Kunden akquirieren, aber irgendwie war immer was (das kranke Kind, die Schule …)

  • Du hattest dir vorgenommen, dir abends oder am Wochenende wirklich freizunehmen, aber am Schreibtisch war immer noch was zu erledigen ... 

Wenn es so ist, habe ich eine schlechte Nachricht für dich:

 

„Man kann nicht alles haben!“

Oh, wie ich diesen Spruch verabscheue. Früher erweckten diese Wörter die Rebellin in mir: „Doch ich schaffe das. Ich kann alles haben!“ 

Tja, langsam sehe ich ein, dass es nicht so ist. Egal wie ich es drehe und wende, der Tag hat nur eine bestimmte Anzahl an Stunden. Und dann die (für mich) logische Konsequenz:  

An allererster Stelle kommt, was mir im Leben wirklich wichtig ist. Ich habe ja nur das eine Leben!

Aber was ist mir im Leben wirklich wichtig? Was sind meine Werte?

 

Die Trauerfeier-Übung

Es gibt eine (nicht ganz einfache Übung), die mir dabei geholfen hat, herauszufinden, was mir im Leben besonders wichtig ist. Vielleicht dir auch? 

Stell dir mal vor, heute ist deine Trauerfeier. Du hattest ein schönes langes sinnerfülltes Leben. Wer soll auf deine Trauerfeier kommen? Was sollen sie über dich sagen? Wie möchtest du in Erinnerung bleiben? 

Diese Übung hilft mir einiges in Perspektive zu rücken und Prioritäten zu setzen. 

Frage dich: Was ist dir im Leben besonders wichtig? Und …

 

Was ist dir in diesem bestimmten Moment am wichtigsten?

Im Leben gibt es selten ein Richtig oder Falsch. Deine Werte werden sich im Laufe der Zeit kaum verändern. Deine Prioritäten schon. Dir darüber bewusst zu sein, kann dir helfen, die für dich richtigen Entscheidungen zu treffen. 

Ein Beispiel. Dir ist ehrenamtliches Engagement wichtig. Deine Kinder sind jetzt aber noch klein und stark auf dich angewiesen. In ein paar Jahren, wenn sie größer sind, wird es dir leichter fallen, dich zu engagieren. Diese Tatsache vor Augen zu haben, kann dir helfen, Nein zu sagen, wenn die nächste Anfrage für ein Ehrenamt kommt. 

Und umgekehrt. Deine Kinder sind schon groß. Dir ist ehrenamtliches Engagement wichtig. Dir das vor Augen zu halten, hilft dir, Nein zu spontanen Mama-Taxi-Fahrten zu sagen (mit dem Fahrrad sind es ja nur zehn Minuten), um deiner ehrenamtlichen Tätigkeit nachgehen zu können.

 

Bewusster Ja sagen

Ein schöner Nebeneffekt. Wenn du deine Werte kennst und deine Prioritäten immer vor Augen hast, kannst du bewusster Ja sagen. 

Mich macht das viel zufriedener. Früher bin ich immer wieder in die Opferrolle gefallen. Bewusstes Ja-sagen wirkt dagegen Wunder. 

  • Ja, ich habe diesen furchtbar langweiligen Auftrag angenommen.

    • Aber ich habe davor in mein Konto geschaut und es war jetzt notwendig.

    • Und ich entwickle mich weiter und belege gerade den Kurs XY, um bald andere Arten von Aufträgen übernehmen zu können. 

  • Ja, ich habe dieser einen Kundin einen Gefallen getan und arbeite dieses Wochenende durch.

    • Ich habe das aber als absolute Ausnahme kommuniziert.

    • Und ich sehe das als eine Investition in unserer Geschäftsbeziehung. 

Hoffentlich bist du noch bei mir und dir ist von so viel Reflexion noch nicht schwindelig. Jetzt kommen, wie oben versprochen, die ganz pragmatischen Tipps. 



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#1 Fordere Bedenkzeit ein

Versuche, auf Bitten und Anfragen nicht sofort zu antworten. Mach der anderen Person deutlich, dass du Zeit zum Überlegen brauchst:

  • „Das kann ich Ihnen auf Anhieb noch nicht sagen.“

  • „Das kann ich jetzt nicht entscheiden. Ich muss erst mal im Kalender schauen.“

  • „Ich überlege es mir und melde mich wieder bei dir.“

  • „Ich möchte zuerst mit meiner Kollegin/meiner Frau/meinen Kindern reden.“

Und dann (ganz wichtig!) überlege wirklich in Ruhe!

 

#2 Sammle diplomatische Formulierungen

Die nächste Bitte kommt bestimmt. Leg dir dafür ein paar nette Antworten zurecht.

  • „Was für eine schöne Idee, aber ich kann leider nicht.“

  • „Das passt leider nicht. Aber danke, dass du gefragt hast.“ 

  • „Vielen Dank für Ihre Anfrage. Leider …“

  • „Was für ein schönes Projekt. Vielen Dank, dass Sie an mich gedacht haben, aber leider …“

Vor allem für geschäftliche E-Mails habe ich mehrere freundlich aber bestimmt formulierte Vorlagen in PhraseExpress gespeichert. Sehr praktisch. So muss ich sie nur einmal formulieren und sie sind dann immer nur ein paar Klicks entfernt. Du kennst PhraseExpress noch nicht? In diesem Blogartikel stelle ich dir alle Tools vor, die mir mein Leben als Übersetzerin leichter machen.

 

#3 Ja, aber

Ein sanfter Einstieg zum Nein ist das „Ja-Sagen mit Aufschub“. 

• „Ja, diesen Text kann ich gern für dich lektorieren. Heute und morgen komme ich nicht dazu. Übermorgen kümmere ich mich darum.“ 

• „Ja, ich kann diese Aufgabe für dich übernehmen. Momentan muss ich XY noch fertig machen. Kannst du mich am Freitag noch einmal darauf ansprechen?“

 

#4 Gib eine Begründung

Nein ist ein ganzer Satz! Kennst du diesen Spruch? Für Ungeübte weniger hilfreich, finde ich. 

Nein, du musst dich für deine Entscheidungen nicht rechtfertigen. Eine Begründung hinterlässt jedoch bei dir und (wahrscheinlich auch) bei deinem Gegenüber ein besseres Gefühl.

 

#5 Sag den wahren Grund

Auch wenn es dir schwerfällt, ermutige ich dich, den wahren Grund dafür zu nennen. Mit ein bisschen Glück vermeidest du, dass ähnliche Anfragen und Bitten von dieser Person wieder kommen.

  • „Du, mir macht Backen gar keinen Spaß. Es setzt mich zu sehr unter Druck. Ich kann aber sehr gerne Getränke besorgen.“

  • „Ich würde sehr gerne deinen Geburtstag mit dir feiern. Eine Party mit so vielen Gästen ist mir jetzt nicht ganz geheuer. Darf ich dich stattdessen zum Frühstück einladen?“

  • „Ich übernehme keine Fremdlektorate, da ich mich auf das Übersetzen spezialisiert habe. Für diesen Auftrag kann ich Ihnen meine Kollegin XY wärmstens empfehlen.“

  • „Ich habe zwar Französisch studiert, aber in den letzten Jahren diese Sprache kaum gepflegt. Deswegen bitte ich zurzeit nur Übersetzungen aus dem Englischen an.“

     

#6 Jedes Nein ist ein Ja zu etwas anderem

Eine Kollegin, die ich sehr schätze, hat mich mal gefragt, ob ich bei der Organisation eines regelmäßigen Übersetzertreffens mithelfen möchte. Ich habe sofort (freundlich aber bestimmt) Nein geantwortet. 

Veranstaltungen zu organisieren, macht mir keinen Spaß. Darin bin ich nicht gut und es ist auch nichts, worin ich unbedingt besser werden will. Dafür hätte ich auf Dauer keine Zeit und keine Energie gefunden. 

Als ich das erste Mal gefragt würde, ob ich für die Mitgliederzeitschrift „Sprachrohr“ des BDÜ Landesverbands Rheinland-Pfalz einen kleinen Artikel schreiben möchte, habe ich auf Anhieb Ja gesagt. 

Auf Deutsch zu schreiben, fiel mir damals nicht leicht, und trotzdem habe ich mich der Herausforderung gestellt. Und siehe da, der erste Artikel kam gut an und jetzt schreibe ich regelmäßig für den Verband. 

Hätte ich Ja zu den Übersetzertreffen gesagt, hätte ich keinen Freiraum mehr für das Schreiben gehabt. So kann ich mich in meinem Übersetzerverband engagieren, mit etwas, das mir Freude macht.

 

#7 Erwarte kein Verständnis

Ja, ich weiß, es ist immer schöner, wenn wir auf Verständnis stoßen. Wenn das nicht der Fall ist und dein Gegenüber nachhakt, reg dich nicht auf. Versuchen kann man es ja. 

Projektmanager zum Beispiel haben unglaublich stressige Jobs. Sie bekommen Aufträge und müssen sie weitervermitteln. Dabei sind sie darauf angewiesen, dass wir pünktlich liefern und den Auftrag zuverlässig ausführen. Man kann gut verstehen, wenn sie lieber die eine zuverlässige Ansprechpartnerin mit Arbeit überfrachten, als mit einer Unbekannten ein Risiko einzugehen. 

Das ist total verständlich. Das ist jedoch nicht dein Problem. (Also, bleib standhaft!)

 

#8 Dein persönlicher Notfallplan

Wieso habe ich bloß zugesagt? 

Eigentlich weiß ich, was mir guttut und was realistisch und machbar für mich ist. Wenn ich im Stress bin, schaltet sich mein „logisches“ Gehirn gerne aus. Oft treffe ich dann nicht ganz nachvollziehbare Entscheidungen. 

Deswegen habe ich jetzt auf meinem Schreibtisch ein paar Anleitungen immer parat. Von mir für mich. Von der entspannten und rationellen Marta an die gestresste und „kopflose“ Marta. Eine davon heißt „Notfallplan ‚leider eilig‘“. 

Darin ermahne ich mich stichpunktmäßig zu atmen, in Ruhe zu überlegen und nicht voreilig zu entscheiden. Ganz egal, wie dringlich die Anfrage ist. Ein paar Mottos, die mir Zuversicht geben, sind auch dabei. Nämlich:

          Auf gute Leute muss man warten.

          Porque yo lo valgo (Ich bin es wert.)

Wie könnte so eine Anleitung bei dir aussehen? Welche Schritte würde dein entspanntes und rationelles „Ich“ deinem gestressten und „kopflosen“ „Ich“ empfehlen? Welche Sprüche/Bilder/Erfolgserlebnisse würden dir helfen, Ruhe zu bewahren und standhaft zu bleiben?

 

#9 Dein Anker

Bei schwierigen Gesprächen hilft mir ein Anker. Etwas dabei zu haben, was mir Zuversicht und Mut schenkt. 

Vielleicht ist das bei dir ein knalliges Post-it am Bildschirm oder eine Karte mit einem motivierenden Spruch an der Wand. Eine Muschel, die dich an den letzten erholsamen Urlaub erinnert. Ein Armband oder eine Kette als Amulett. 

Der sanftmütigste Mensch, den ich kenne, hat mal die Empfehlung bekommen, sich eine Löwin an der Fußsohle anzumalen, um bei jedem Schritt ihre Kraft zu spüren. Wäre das vielleicht etwas für dich?

 

#10 Die 24-Stunden-Regel

Für XY brauchen wir noch ganz dringend eine helfende Hand, die uns dabei unterstützt! 

Schule, Hort, Freizeit, Ehrenamt … Fühlst du dich von jeder Rundmail persönlich angesprochen? Ob Büffetbeitrag, Ausflugsbegleitung, Vorstandswahlen …  

Reagierst du darauf aus Reflex?

  • Es ist ja nur ein Kuchen

  • Irgendwer muss es ja machen

  • Wenn ich mich nicht melde, findet sich ja vielleicht niemand

  • Wenn ich mich nicht melde, wer weiß, wer sonst ausgewählt wird …

Und (mein absoluter Favorit):

  • Eigentlich könnte ich. Ich arbeite ja flexibel

Ja, die Flexibilitätsfalle lässt grüßen. (Dazu unten gleich mehr) Das Bedürfnis gebraucht zu werden und die Sehnsucht nach Anerkennung, tun ihr Übriges. 

Wenn die nächste Rundmail kommt, atme tief durch. Nimm dir die Zeit, um folgende Fragen zu beantworten: Will ich das wirklich tun? Ist das mir gerade wirklich wichtig? 

Wenn du nicht mit einem klaren Ja antworten kannst und du dich trotzdem verpflichtet fühlst, nutze die 24-Stunden-Regel. Wie das geht? Du machst mit dir einen Deal. Du darfst zu allem Ja sagen. Einzige Voraussetzung − du musst 24 Stunden warten. 

In vielen Fällen hat sich das Ganze am nächsten Tag erledigt. Es hat sich entweder jemand anderen gefunden, oder du verspürst keinen unwiderstehlichen Drang mehr, dich freiwillig zu melden, da dir bewusst ist, wie viel schon auf deiner To-do-Liste ist.

 

#11 Die Flexibilitätsfalle entkommen

Jahrelang bin ich in die Flexibilitätsfalle getappt. Als Selbstständige bestimme ich meine Arbeitszeiten. Solange ich pünktlich liefere, ist es meiner Kundschaft egal, wann ich meine Übersetzungsaufträge erledige. Das heißt, ich kann theoretisch jederzeit Pakete für die ganze Straße entgegennehmen, immer wieder mit meiner Nachbarin ein Schwätzchen über den Zaun halten, jedes Mal auch für private Gespräche ans Telefon gehen, mich bei jedem Fest in der Schule/Hort/Sportverein freiwillig als Helferin melden. Ich arbeite ja flexibel … 

Die Konsequenz? Was ich unter der Woche tagsüber nicht schaffe, muss ich abends oder am Wochenende nachholen. Schlimmstenfalls muss ich diesen schönen Auftrag ablehnen, weil die nächsten Tage mit anderen Verpflichtungen schon voll sind. 

Ja, ich weiß, selber schuld, wenn ich meine Arbeit nicht schätze. Über die Auswirkungen fehlender Wertschätzung für unsere eigene Arbeit als Selbständige könnte ich einen ganzen Artikel schreiben. Vielleicht komme ich irgendwann dazu ... 

Wie bin ich dieser Flexibilitätsfalle entkommen? Ich habe mir feste Arbeits- und Freizeiten gelegt, die nur in Ausnahmefälle verschoben werden. Immer wieder stelle ich mir folgende Frage: 

Wenn ich in Festanstellung in einer Kanzlei, einer Schule, einem Krankenhaus arbeiten würde, würde ich mir dafür extra freinehmen? 

Für die Theatervorstellung meiner Tochter, ganz sicher. Für einen Schulausflug, vielleicht. Für eine Bastelstunde in der Krippe? (Für etwas, was meine Tochter nicht wirklich mitbekommt und mir mehr Qual als Freude bereitet …) Ganz sicher nicht!

 

#12 Die 6-Regel

Noch ein weiterer Tipp, um die Wichtigkeit von Anfragen und Bitten zu relativieren: Wende die 6-Regel an. 

Diese eine Anfrage, diese eine Bitte, die dich gerade so sehr beschäftigt, wie wichtig wird sie in sechs Stunden, sechs Tagen, sechs Monaten, sechs Jahren für dich sein?

 

#13 Gehe auf Einwände nicht ein

Du hast dich überwunden und Nein gesagt: „Leider bin ich gerade ausgebucht. Ich habe erst ab nächster Woche wieder Kapazitäten frei.“ 

Ärgere dich nicht, wenn jemand versucht, dich umzustimmen. Das ist sein gutes Recht und hat mit dir wenig zu tun. 

„Das ist aber ein sehr kurzer Text. In ein paar Stunden haben Sie es übersetzt.“ 

Anstatt dich zu rechtfertigen, bleib einfach dabei:

 „Auch wenn es sich um einen kurzen Text handelt, bin ich leider gerade ausgebucht. Ich habe erst ab nächster Woche wieder Kapazitäten frei.“ 

Oder noch besser: Wenn es ein Gespräch ist, antworte gar nichts. So bleibt der Ball bei der anderen Person.

 Wenn du die Stille schwer aushalten kannst, zähle innerlich bis zehn (oder zwanzig, zur Not auch bis dreißig). Dabei kannst du dich mit deinen Fingern unterstützen. Du kannst ganz dezent eine Fingerkuppel nach der anderen zum Beispiel an die Tischplatte festdrücken.

 

#14 Stelle keine Fragen, wenn es keine Fragen sind

Ich bin so erzogen worden, höflich zu fragen, anstatt meine Wünsche bzw. Bedürfnisse klar zu kommunizieren. Leider führt das oft zu Missverständnissen in der Kommunikation. 

Wenn deine Woche schon zu ist, sag nicht:

  • „Diese Woche habe ich leider schon viel zu tun. Würde es Ihnen bis Dienstag vielleicht noch reichen? 

Sondern:

  • „Diese Woche habe ich leider keine Kapazitäten mehr frei. Diesen Auftrag kann ich Ihnen aber sehr gerne bis Dienstag liefern. Würde Ihnen das noch reichen?“

 

#15 Achte auf deine Körperhaltung

Eine aufrechte Körperhaltung kann dir helfen, selbstsicherer Nein zu sagen. Bei mir hat es sich bewährt, schwierige Telefonate beim Stehen zu führen. Für meine E-Mails hilft mir das interessanterweise auch. Einmal tief atmen, Kopf anheben und Schulter nach hinten, schon schreibe ich viel bewusster.

 

#16 Akzeptiere auch du ein Nein

Auch wenn ich kein esoterischer Typ bin, ein Tipp für gutes Karma. Hast du dir vorgenommen, öfter Nein zu sagen? Schau, dass du Neins von anderen auch akzeptierst. Ohne nachhaken zu wollen, ohne gekränkt zu sein, ohne dich schlecht zu fühlen, weil du überhaupt gefragt hast …

 

#17 Ein Nein-Tagebuch führen

Um dranzubleiben, führ jetzt gerne ein Nein-Tagebuch. Wie ausführlich, entscheidest du. Wie oft du das machst, auch. Ich würde dir allerdings empfehlen, spätestens einmal die Woche die vergangenen Tage Revue passieren zu lassen. Sonst sind kleine Erfolge ganz schnell wieder vergessen. 

Es gibt viele Möglichkeiten, kleine und große Fortschritte festzuhalten.

  • Sie in einem hübschen Notizbuch festhalten (das motiviert mich am meisten).

  • Stichpunkte in einem Flipchart im Büro sammeln, um sie stets vor Augen zu haben.

  • Eine Liste am Handy erstellen, um sie immer bei dir zu haben.

  • Du magst es lieber verspielt? Für jedes Nein klebst du einen bunten Sticker in deinen Kalender.

*

Ich freue mich, wenn ich dir mit meinen Erfahrungen und meinen Tipps helfen konnte. 

Ich wünsche dir viel Erfolg beim Nein sagen (lernen) und berichte mir gerne, was sich bei dir tut!

 


PS: Apropos ... Im Februar/März 2024 halte ich einen zweiteiligen Workshop mit dem schönen Titel „Nein sagen lernen – für eine entspanntere Selbstständigkeit“. Wenn du dir zusätzliche Unterstützung holen möchtest, kannst du dich hier für meinen Workshop schon anmelden.




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